2020-11-15

Digitalisierung der Blechbranche hat den Kunden vergessen

von Volker Albrecht, freier Journalist in Bamberg

Online Fertigungsplattformen automatisieren die administrativen Vorgänge von der Bestellung bis zur Rechnungserstellung und lassen in einem Netzwerk externer Blechbearbeiter die Bauteile herstellen. Wird so die digitale Zukunft in der Blechbranche aussehen?

In Sachen Digitalisierung hat sich die Blechbranche bisher auf die Fertigung fokussiert. Von der Abwicklung der CAD-Daten bis zur Fertigungsplanung, von der Kalkulation bis zur Rechnungsstellung läuft vieles bereits digital und automatisch. Nur die Schnittstelle zum Kunden ist noch immer hauptsächlich Telefon und E-Mail samt PDF-Datei. Jetzt nehmen sich Fertigungsplattformen diesem vernachlässigten Bereich an und könnten damit die Blechbranche nachhaltig verändern.

laserhub.com/

Vorreiter für eine Digitalisierung der Kundenbeziehungen gab es bereits vor mehr als zehn Jahren. 247TailorSteel und Laserteile4You haben es vorgemacht, wie Kunden rund um die Uhr ihre Blechteile online bestellen können. In ihren Webshops erhalten Kunden nach Hochladen der CAD-Zeichnung innerhalb von Minuten verbindliche Angebote für unterschiedliche Mengen oder Liefertermine. Bestellt wird direkt per Mausklick. Angebots- und Bestellvorgang laufen vollständig digital und automatisiert ab, inklusive Machbarkeitsprüfung und Preiskalkulation. Preisverhandlungen allerdings gibt es keine – aber eine transparente Preisgestaltung.

Möglich machen das blechspezifische Algorithmen in den Softwaresystemen, die dazu aber immer wieder gepflegt und weiterentwickelt werden müssen. Der Aufwand dazu ist hoch und kann von mittelständischen Blechbearbeitern kaum geleistet werden. Entsprechend zurückhaltend zeigen sich diese bei der Investition in entsprechende Systeme. Aber auf Kundenseite wächst der Bedarf an einfacheren Bestelllösungen über das Internet.

Fertigungsplattformen auf dem Vormarsch

Seit drei, vier Jahren füllen Online-Fertigungsplattformen wie Laserhub und Blexon, Facturee und Xometry diese Angebotslücke. Für den Kunden ist deren Funktionsprinzip kaum von Webshops zu unterscheiden: CAD-Daten hochladen, Angebot mit Termin und Stückzahl anfordern und bestellen. Die Geschäftsidee dahinter ist aber eine andere: Die Fertigungsplattformen übernehmen voll digitalisiert und automatisiert den administrativen Part von der Angebotserstellung bis zur Auftragsbestätigung und von der Rechnungsstellung bis zur Reklamation. 

blexon.com

Gefertigt werden die Teile dann bei unterschiedlichen Unternehmen eines Fertigungsnetzwerks. Anders als bei Beschaffungsplattformen wie techpilot.de oder blechteilebeschaffung.de kommt der Kunde mit den Fertigungsunternehmen nicht in Kontakt. Alleinverantwortlicher Auftragnehmer ist die Fertigungsplattform.

Die gezielt für das Fertigungsnetzwerk ausgewählten Unternehmen arbeiten dabei vollkommen selbstständig. Für sie treten die Plattformen als zuverlässige „Großkunden“ auf, indem sie ihrerseits Kundenaufträge bündeln und auch gemeinsam abrechnen.

Blechteilebeschaffung online ist gefragt

Die automatische Auftragsvergabe der Plattformen an die Fertigungsunternehmen erledigen Algorithmen. Dazu sind die Fertigungsunternehmen über Schnittstellen an die Plattformen angebunden. Digitale Zwillinge aller im Fertigungsnetzwerk verfügbaren Maschinen sowie ein Datenaustausch zum Materialbestand erlauben den Algorithmen die Auswahl geeigneter Fertiger. Zusammen mit Aspekten wie regionaler Nähe zum Auftraggeber oder spezielle Skills eines Unternehmens werden die Aufträge dann entsprechend automatisch vergeben. 

Mit den Daten der digitalen Zwillinge kalkuliert das System zudem die Kosten und legt mit weiteren Zuschlägen den Preis für jeden Auftrag fest - jeweils abhängig von Stückzahl und Liefertermin. Preisverhandlungen je Auftrag sind nicht vorgesehen, wenngleich man sich im Vorfeld durchaus abstimmt.

247tailorsteel.com/de

Plattformen ersparen den Fertigungsunternehmen vor allem administrativen Aufwand im Vertrieb. Selbst die Organisation des Teileversands über Paketdienstleister übernehmen die Plattformen. Und aus der Digitalisierung und Automatisierung dieser Prozesse rechtfertigt sich letztendlich auch deren Marge.

Das Konzept scheint im Markt anzukommen. Rund 5.000 Kunden und etwa 50 Produzenten weist Laserhub im Frühherbst 2020 des Jahres aus. Das Unternehmen rechnet selbst im Corona-Jahr 2020 nach Geschäftsführer Rössner mit einem Wachstum um das Dreieinhalbfache und einer Verdopplung seiner Produzenten in absehbarer Zeit. Davor wurden Wachstumsraten um das Siebenfache im Jahr erreicht. Kleiner ist die auf Blechbearbeitung fokussierte Schweizer Blexon AG, sie arbeitet aktuell mit 5 Produzenten zusammen. Facturee gibt 500 Produzenten in ihrem Netzwerk an, die über nahezu alle Bereiche der Fertigungstechnik gestreut sind.

Fertigungsplattformen werden sich im Markt behaupten

Die Grundidee der Plattformen birgt Vorteile für alle Seiten. Fertigungsunternehmen ersparen sich den Aufwand, eigene Webshops aufzubauen und zu pflegen. So klinken sie sich relativ einfach in die digitale Blechteilebeschaffung ein und können sich auf die Fertigung und die Auslastung ihrer Maschinen konzentrieren. In den Einkaufsabteilungen sinkt der Beschaffungsaufwand erheblich. Unternehmen, die kleine Stückzahlen benötigen, kommen über die Plattformen zudem an Top-Fertiger heran, die ansonsten aus wirtschaftlichen Zwängen auf Kleinaufträge verzichten.

laserteile4you.de/

Insgesamt verbessern die Plattformen die Preistransparenz, was den Preisdruck bei mittelständischen Fertigern erhöht, die oft mit einer Mischkalkulation arbeiten.

Auch ungewollt werden den Plattformen mächtige Marktpositionen erwachsen. Direkte Abhängigkeiten der Fertigungsunternehmen sollen zwar vermieden werden, indem deren Kapazitäten zu nicht mehr als 20 bis 25 Prozent mit Plattform-Aufträgen ausgelastet werden, aber durch die Plattformen werden neue Rahmenbedingungen geschaffen. Schon jetzt profitieren Plattformen beispielsweise aufgrund ihres hohen Frachtaufkommens von Sonderkonditionen bei den Frachtdienstleistern. Und auch Gedanken an eine zentrale Materialbeschaffung mit entsprechenden Preisnachlässen werden bereits angestellt. 

facturee.de/

Das verbessert die Marktposition der Plattformen zusätzlich gegenüber Einzelanbietern. Und der Innovationsdruck wird steigen, denn innerhalb der Fertigungsnetzwerke wird es immer ein Unternehmen geben, das die jüngsten Techniken anbieten kann.

Insgesamt scheinen die Vorteile der Plattformen so überzeugend, dass es verwunderlich wäre, wenn sie in den nächsten Jahren nicht an Bedeutung gewinnen könnten. Darauf sollte sich die Blechbranche einstellen.

xometry.de

2020-11-10

Gegen Untote hilft kein Impfstoff

von Wolfgang Filì, facts-and-figures

Dann wird ja alles wieder gut. BNT162b2 liege bald vor, frohlockt Gesundheitsminister Spahn. Schlechter dran bleibt dann wohl die Wirtschaft. Hier ist die Pandemie lediglich vertagt und die Ansteckungsgefahr hochaktuell - vor allem an lebenden Toten. 

550000 versteckt überschuldete Firmen hatte Auskunft- und Inkasso-Dienstleister Creditreform im Oktober ausgemacht. © Filì

Ende 2. Halbjahr standen deutsche Unternehmen aus Metallerzeugung und -bearbeitung, Maschinenbau, der Herstellung von EDV-Geräten und sonstigem verarbeitenden Gewerbe (ohne Bauindustrie) bei inländischen Banken mit über 160 Milliarden Euro in der Kreide. 

Das Gros der ausgereichten Kredite wird auf „Untote“ gehen: überschuldete Betriebe, die allein dank der Nullzinspolitik ihre Kapitalkosten nicht mehr selber erwirtschaften müssen. Oder herzlos formuliert: Unternehmen, die entweder zu teuer produzieren respektive Güter herstellen, die der Markt nicht wirklich braucht. Vielleicht auch solche, denen der staatliche Dirigismus zugesetzt hat oder denen aus anderem Grund die Abnehmer weggebrochen sind. Auch schlechtes Management ist denkbar.

550000 solch versteckt illiquider Firmen hat der Auskunft- und Inkasso-Dienstleister Creditreform Oktober 2020 ausgemacht - und zwar quer durch alle Branchen. Das sind 17 % der deutschen Betriebe. Sie fallen allein deshalb nicht auf, weil die Insolvenzantrags-Pflicht bis Januar ausgesetzt ist. Sollte das Justizministerium dies bis Ende I. Quartal fortschreiben, rechnet Creditreform gar mit 800000 Pleiten. 

Kreditforderungen deutscher Banken an inländische Unternehmen, ausgewiesen in Prozent nach Branchen. © Bundesbank

Mit solchen "Untoten" Geschäfte zu machen, ist hochinfektiös. Bislang gesunde Betriebe liefern heute, bleiben morgen jedoch auf ihren Rechnungen sitzen, geraten in Folge selber in Schwierigkeiten und sind unterm Strich „angesteckt“. Konsequente Folge ist eine Kettenreaktion, die über die verarbeitenden Branchen hinausreicht. Und last-but-not-least: Nicht jeder Unternehmer tut sich leicht damit, jahrelang vertraute Partner vor jedem größeren Abschluss auf Risiko und Bonität prüfen zu lassen.

Die Bankenaufsicht der EZB hat die europäischen Geldinstitute bereits gewarnt, dass das Risiko von Kreditausfällen insoweit sehr hoch sei. Wann sich dies in den Bankbilanzen zeige und mit welcher Schwere, könne man nicht voraussagen. Falls sich die Schätzung jedoch bewahrheitete, dürften die Banken in erheblichem Umfang Non Performing Loans – zu Deutsch: notleidende Kredite – in ihren Büchern haben. 

Forderungen, die nicht bedient werden können, müssten korrekterweise in der Bankenbilanz abgeschrieben werden. Aber auch das hat Pleitepotenzial. Hinzu kommt, dass Banken mit schrumpfendem Eigenkapital weniger Kredite vergeben können. Und hier beißt der Zombie der Katze in den Schwanz. 

Warten wir ab, was die Wiedereinsetzung der Insolvenzpflicht an Ernüchterndem aufdeckt. Ungesund sieht’s allemal aus.

Geben Sie auf sich Acht.

2020-11-04

Nachbarn, Freunde und Verwandte waren 'gestern'. Jetzt trösten Roboter die Corona-Isolierten.

von Wolfgang Filì, facts-and-figures

‚Soziale Roboter‘ könnten psychische Folgen von Isolation mildern, wie sie die derzeitigen Corona-Maßnahmen ausgelöst haben, meldet die Universität Hohenheim am 4. November. Das glauben Sie einfach nicht? Oder: Sie sind schlicht fassungslos? 

Hier zum Trost der Pressetext. „Unterhalter, sozialer Wegbereiter, Mentor und Freund: Diese Typologie für soziale Roboter hat jetzt ein Forschungsteam unter Mitarbeit der Universität Hohenheim in Stuttgart aufgestellt. Diese Robotertypen könnten gerade während der Corona-Krise für psychisch anfällige Menschen eine wichtige Stütze sein. 

Social robots for consumer well-being during Covid-19 and beyond. © Journal of Service Management

Denn die Covid-19-Pandemie hat nicht nur Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit von Erkrankten. Weitaus größer dürfte die Anzahl derjenigen Personen sein, die vor allem seelisch unter der Krise und der mit ihr verbundenen Isolation leiden. Dabei sind zwei Gruppen besonders betroffen: ältere Menschen und Kinder. 

Soziale Roboter könnten hier wichtige Funktionen übernehmen. Doch noch steckt die Entwicklung solcher Roboter und die Forschung hierzu in den Kinderschuhen. Mit ihrer Arbeit möchte das vierköpfige Forscherteam Nutzer und Anbieter sowie Entwickler von sozialen Robotern bei deren Einsatz und Design unterstützen. Die Publikation ist jetzt im Journal of Service Management erschienen.“

„Unterhalter, sozialer Wegbereiter, Mentor und Freund.“ © Journal of Service Management

Gut, dass wir live und lebendig verfolgen dürfen, wie die Technik uns sozial ertüchtigt. Wie denken Sie?

https://doi.org/10.1108/JOSM-05-2020-0145


Geld verdienen erst wieder ab 2023?

  von Wolfgang Filì, facts-and-figures Maschinenbauer haben's schwer. Geht's aufwärts mit der Konjunktur, profitieren sie als letzte...