Den Weg zur Smart Factory sollen vernetzbare und teils autonome Fertigungssysteme bereiten: ein Überblick der aktuellen Entwicklungen für die Blechbearbeitung.
Um auch ohne reale Fachmessen die Trends der technischen Neuentwicklungen zu erkennen, haben wir aus Webinaren, virtuellen Messen, Video-Gesprächen, Fachbeiträgen und Neuvorstellungen die aktuellen Entwicklungen in der Blechbearbeitung zusammengestellt.
Das Ziel der Premiumanbieter im Blechbereich ist weiterhin die Smart Factory. Eine Fabrik, in der alle Produktionsprozesse nahtlos vernetzt sind, die Systeme in Echtzeit miteinander kommunizieren, die Aufträge selbstständig, die ihre Lagerhaltung organisiert, Angebote automatisch erstellt und Neubestellungen sofort in die Produktionsplanung integriert. Mit einer derartigen Musterfabrik produziert Trumpf seit Mitte 2020 in Ditzingen eigene Blechteile.
In den Werkhallen der meisten Fertiger sieht es anders aus: Maschinen, Geräte und Software unterschiedlicher Hersteller und Baujahre produzieren nebeneinander und mehr oder weniger durch herstellerunabhängige Software vernetzt. Für Alberto Martínez, Head of Competence Center Software Services, Chief Digital Officer, and Member of Bystronic Management Committee ist die Erkenntnis daraus klar: „Wir mussten uns eingestehen, dass wir die Bedürfnisse unserer Kunden nicht länger im Alleingang befriedigen können. Blechbearbeiter suchen immer weniger einzelne Produkte, sondern vernetzte Lösungen. Und diese können wir nur in Zusammenarbeit mit externen Partnern bieten.“ Entsprechend öffnet sich Bystronic wie viele andere Anbieter stärker als bisher für die Zusammenarbeit mit anderen Anbietern und wird in Zukunft Systeme von Fremdherstellern einbinden. Erleichtert wird diese Einbindung durch die Schnittstelle umati (universal machine technology interface) für den Datenaustausch zwischen Werkzeugmaschinen.
Neben der Vernetzung ist der autonome Betrieb von Anlagen ein erklärtes Ziel der Anbieter. Assistenzsysteme vor allem im High-End-Bereich der Lasertechnik erlauben einen selbstregelnden Betrieb beispielsweise in den Laserschneidmaschinen der TruLaser Serie 5000. Das Assistenzsystem Active Speed Control schließt hier aus dem Prozessleuchten im Schneidspalt auf die Schnittqualität und passt entsprechend die Vorschubgeschwindigkeit automatisch an. Ebenfalls als weitgehend selbstregulierend beschreibt Amada seine neue Faserlaserschneidanlage Regius-3015AJ, die sich vor allem durch ihre Positioniergeschwindigkeit von bis 340 m/min auszeichnet.
Übergreifend bei allen Herstellern ist der Trend zu hohen Laserleistungen bis 15 kW zu erkennen, mit denen die Lasermaschinen Blechdicken bis 50 mm schneiden können, ein Blechdickenbereich der bisher den Plasmamaschinen vorbehalten war. Mit Assistenzsysteme einerseits und den hohen Laserleistungen wollen sich die Premiumhersteller zudem von dem im Markt mittlerweile vielfältig und günstig verfügbaren Angebot an Basismaschinen mit Standard-Faserlaserquellen abheben.
Der Trend zu autonomen Systemen setzt sich im Biegebereich fort. Hier sind zwar autonome Stanz-Biegelinien und Biegezentren unter anderem von Salvagnini seit Jahren bekannt, zunehmend werden aber Biegezellen mit Abkantpressen als (teil-) autonome Systeme angeboten. Eines dieser selbstregelnden System ist die Ulti-Form-Biegezelle von LVD, die eine 135-t-Abkantpresse mit einem Industrieroboter koppelt. Der Roboter übernimmt darin sowohl den Werkzeugwechsel als auch das Teilehandling. Programmiert werden Presse und Roboter in einem einzigen Steuerungssystem.
Verknüpft mit der Digitalisierung ist das Erfassen und Speichern vielfältiger Daten zu Maschine und Prozess. Genutzt werden diese Daten vorerst meist dazu, den Anwender zu jeder Zeit an jedem Ort über den aktuellen Zustand der Maschinen zu informieren und Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen einzuleiten. KI-gestützte Tools zur systematischen Auswertung der Daten im Hinblick auf eine Optimierung der Prozesse werden allenfalls beim Maschinenhersteller mit Einverständnis des Anwenders, nicht aber direkt beim Anwender eingesetzt. Anwendungen wie in der Automobilindustrie, wo KI-gestütze Systeme direkt Produktionsdaten auswerten und zur Optimierung der Produktionsplanung nutzen, sind im Blechbereich nicht bekannt.
So betreffen KI-Anwendungen vor Ort meist die Prozessperipherie. Am bekanntesten dürfte das selbstlernende Systeme zum automatischen Ausstoßen von Laserteilen aus dem Restgitter mit Hilfe von Aufwerferstiften im Laservollautomat TruLaser Center 7030 sein. Interessant ist auch der vom Fraunhofer IPA zusammen mit Trumpf entwickelte Sorting Guide, in dem eine künstliche Intelligenz automatisch die Bauteile erkennt, die ein Bediener aus dem Restgitter entnimmt. Das System zeigt dann die zugehörigen Auftragsdaten und den Ablageort an und übermittelt die Entnahme direkt an den Leitrechner. Ebenfalls zur Teileerkennung und zur entsprechenden Handhabung durch einen Roboter nutzt Arku sein KI-gestützes Vision-Roboter-System, um Teile einer Bearbeitungsmaschine zuzuführen und nach der Entnahme abzustapeln. Das System kann vom Anwender ohne jede spezifische Teileprogrammierung eingesetzt werden.
Große Fortschritte hat die Digitalisierung in den letzten Jahren vor allem in der Produktionsplanung- und –steuerung gemacht. Hier sind neue digitale Dienstleister entstanden, die mit ausgefeilten Softwaresysteme administrativen Vorgänge von der Angebotserstellung bis zur Beauftragung des Logistikdienstleisters und der Rechnungserstellung automatisch abarbeiten. Die reale Fertigung wird von diesen Systemen dann – ebenfalls automatisch – an externe Blechfertiger vergeben. Mit der Leistungsfähigkeit der Softwaresysteme dieser Online-Fertigungsplattformen ohne Maschinen können die wenigsten Webshops herkömmlicher Blechbearbeiter mithalten.
Und das umso mehr, weil die Plattformen den Auftrag an den Fertiger algorithmengesteuert an den Fertiger vergeben, der am besten dafür ausgestattet ist. Diese Online-Fertigungsplattformen bieten bestechende Vorteile für die Einkäufer, und haben durchaus das Potential, die Blechbranche insgesamt zu verändern.Bis dahin allerdings können Blechfertiger auch ihre herkömmliche Fertigung ohne digitale Vernetzung optimieren. Beispielsweise durch Systeme zur Materialbereitstellung etwa oder durch ein Ortungssystem für Material in Werkhallen – das bei einer vernetzten automatisierten Fertigung gar nicht notwendig wäre.
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