2021-06-14

Wie sehen Produktionssysteme der Zukunft aus?

von Volker Albrecht, freier Journalist in Bamberg

Spielt Nachhaltigkeit in den Produktionssystemen nach der digitalen Transformation eine wichtige Rolle? Eine Fraunhofer-Studie fragt bei Praxisexperten nach und formuliert zehn Richtlinien für ganzheitliche Produktionssysteme.

Eine Forschergruppe des Fraunhofer IPA hat für die rund 100-seitige Studie „Ganzheitliche Produktionssystem 4.0“ im Zeitraum von Juli bis Dezember 2020 Fachleute aus der Praxis zu Thesen für die Weiterentwicklung ganzheitlicher Produktionssystem befragt. In einer ersten Stufe haben 73 Teilnehmer in einem Web-Survey sieben Hypothesen zur Produktion der Zukunft bestätigt - oder eben nicht. Dieser nicht repräsentativen Internetbefragung schlossen sich 18 umfassendere Interviews mit 20 Produktionsfachleuten aus der Automobilbranche sowie dem Anlagen und Maschinenbau an.

 Die zehn Richtlinien für die Gestaltung zukunftsfähiger Produktionssysteme. © Fraunhofer IPA

Hintergrund der Studie ist die digitale Transformation in der Industrie und deren Einffluss auf die Gestaltung von ganzheitlichen Produktionssystemen (GPS). Diese GPS sind nach VDI 2870 unternehmensspezifische methodische Regelwerke, mit dem Unternehmen ihre Prozesse am Kunden ausrichten. Wesentliche Elemente sind dabei Methoden der Lean Production.

  • ist auf die individuellen menschlichen Bedürfnisse und die Partizipation von interdisziplinären Teams auszurichten.
  • ist in einem integrierten Ansatz aus Lean Production und Industrie 4.0 umzusetzen. 
  • ist durch Elemente der Kundenintegration und -individualisierung am Kundennutzen auszurichten.
  • ist auf die unternehmensübergreifende Kooperation für eine durchgängige Betrachtung von End­to­End­Prozessen ohne Systembrüche auszuweiten. 
  • muss ein systematisches Datenmanagement und systemweite Transparenz berücksichtigen.
  • ist konsequent zur Ausweitung von Flexibilität und Wandlungsfähigkeit zu nutzen.
  • muss umfassende Standardisierung bei gleichzeitiger Wahrung von Freiheitsgraden für individuelle Anwendungsdomänen ermöglichen.
  • ist unter Einbezug neuer digitaler Methoden und Werkzeuge durchzuführen.
  • ist mit  einer Toolbox für Methoden und Werkzeuge zu begleiten. 
  • ist unter Einbezug neuer technologischer Industrie-4.0-Anwendungen und deren Beschreibung in Form von Use-Cases umzusetzen.

Es wird in der Studie davon ausgegangen, dass Industrieunternehmen in Zukunft flexibler auf Kundenanfragen reagieren und ihre Produktion rasch auch an sehr spezielle Kundenwünsche anpassen müssen. Nach den Konzepten von Industrie-4.0 sollen dann selbst Einzelanfertigungen zum Preis von Massenware gefertigt werden. 

Das erfordere einerseits flexible und wandlungsfähige Maschinen und andererseits ein gutes Datenmanagement über alle Maschinen und Systeme und sogar über Unternehmensgrenzen hinweg bis zum Lieferanten und zum Kunden. In der Studie wird deshalb von „End-to-End-Prozessen ohne Systembrüche“ gesprochen.

Die Forschungsgruppe leitet in der Studie zehn Richtlinien ab. Danach gilt: Die Gestaltung ganzheitlicher Produktionssysteme

Die Forschungsgruppe „Umsetzungsmethoden für die Digitale Produktion“ wird im Sommer einen Industriearbeitskreis „Ganzheitliche Produktionssysteme 4.0“  gründen, in dem die Ausgestaltung einer solchen Toolbox praktisch mit Expertinnen und Experten aus dem Industrial Engineering durchgeführt wird. Die Studie „Ganzheitliche Produktionssysteme 4.0“ ist Teil der Forschungsarbeiten im „Future Work Lab“ und steht hier kostenlos zum Download zur Verfügung.

Übrigens: Die Studie wurde Anfang 4. Mai 2021 veröffentlicht, rund fünf Wochen bevor der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) zusammen mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina ein gemeinsames Positionspapier zum Weg hin zur Klimaneutralität vorgestellt und öffentlichkeitswirksam der Bundeskanzlerin übergeben hat. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Ratsmitglieder zeigen darin Handlungsoptionen für die notwendige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft auf. Das Papier finden Sie hier.

Nachhaltigkeit wird in  den zehn Richtlinien zur Gestaltung von Produktionssystemen des Fraunhofer IPA expressis verbis nicht aufgeführt.


2021-06-04

Schlau umgeformt und schwer zu faken

von Wolfgang Filì, facts-and-figures

Wer Werkstücke umformt, gestaltet ihr Äußeres. Dass er damit auch innere Werte verändert, ist zwangläufig. Ein Projekt erforscht, wie man beim Drückwalzen die Eigenschaften von Stahlwerkstoffen anpasst. Das Ergebnis sollen günstig gefertigte Teile sein, die obendrein fälschungssicher sind.

Typisches Beispiel ist das Drückwalzen von Teilen für Zentrifugen- oder Strahltriebwerke. Wird hier ein metastabiler austenitischer Stahl verwendet, kann man die äußere Form und auch die Eigenschaften des Metalls durch Phasenumwandlung steuern. Die Universität Paderborn, die Technische Universität Dortmund und das Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik arbeiten an einem Verfahren, mit dem man die Eigenschaften der künftigen Bauteile sehr fein ortsaufgelöst einstellen kann. Hierbei lassen sich nützliche Zusatzfunktionen integrieren: etwa für die Überwachung von Bauteilzuständen oder eine eindeutige und manipulationssichere Kennzeichnung.

1. Über das geregelte Drückwalzen kann man physikalische und mechanische Eigenschaften beeinflussen, und zwar definiert und exakt wiederholbar. Beispiele sind die Festigkeit oder Härte des Stahls. Neben der Verbesserung der Eigenschaften wird bei der Fertigung Material gespart.

2. Wenn überhaupt, war vergleichbare Funktionalität bislang nur durch Nacharbeit zu erreichen, also mit Mehraufwand. Die Fertigung in einem Regelkreis dagegen verbessert die Teilequalität und verringert den Ausschuss.

3. Smartes Drückwalzen erschließt insoweit die Möglichkeiten metastabiler austenitischer Stähle. So lässt sich ein magnetischer Barcode in das Stahlbauteil einbringen. Er ist äußerlich unsichtbar, aber eindeutig identifizierbar. Mit anderen Worten: Man kann fälschungssichere Produkte herstellen.

Geregeltes Drückwalzen beeinflusst die Werkstoff-Härte und -Festigkeit. Die Funktionalität wird verbessert. Man spart Material. © Filì

Das Vorhaben „Eigenschaftsbasierte Regelung von Verfestigungs- und Phasenumwandlungs-Prozessen  beim Drücken und Drückwalzen metastabiler Austenite“ wird seit 2019 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 450 000 Euro zunächst für zwei Jahre unterstützt. Es gehört zu dem Schwerpunktprogramm „Eigenschaftsgeregelte Umformprozesse“. Letzteres fördert hier insgesamt elf Forschungsverbünde. Ziel ist, die Grundlagen Eigenschaftsregelung von Umformabläufen zu untersuchen, neue Ansätze zu erproben und zu nachzuweisen.

Universität Paderborn
www.mb.uni-paderborn.de/luf/

Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik (IEM)
www.iem.fraunhofer.de/de/forschung/forschungsbereiche/scientific-automation/abteilung-regelungstechnik.html

Technische Universität Dortmund
www.wpt.mb.tu-dortmund.de

2021-06-03

Trends in der Blechbearbeitung

von Volker Albrecht, freier Journalist in Bamberg

Den Weg zur Smart Factory sollen vernetzbare und teils autonome Fertigungssysteme bereiten: ein Überblick der aktuellen Entwicklungen für die Blechbearbeitung.

Um auch ohne reale Fachmessen die Trends der technischen Neuentwicklungen zu erkennen, haben wir aus Webinaren, virtuellen Messen, Video-Gesprächen, Fachbeiträgen und Neuvorstellungen die aktuellen Entwicklungen in der Blechbearbeitung zusammengestellt.

Das Ziel der Premiumanbieter im Blechbereich ist weiterhin die Smart Factory. Eine Fabrik, in der alle Produktionsprozesse nahtlos vernetzt sind, die Systeme in Echtzeit miteinander kommunizieren, die Aufträge selbstständig, die ihre Lagerhaltung organisiert, Angebote automatisch erstellt und Neubestellungen sofort in die Produktionsplanung integriert. Mit einer derartigen Musterfabrik produziert Trumpf seit Mitte 2020 in Ditzingen eigene Blechteile. 



Die Smart Factory ist das Ziel in der Blechbearbeitung. In ihr sollen Eine Fabrik, in der alle Produktionsprozesse nahtlos vernetzt sein und die Systeme in Echtzeit so miteinander kommunizieren, dass die Aufträge selbstständig erledigt werden. © Bystronic
In den Werkhallen der meisten Fertiger sieht es anders aus: Maschinen, Geräte und Software unterschiedlicher Hersteller und Baujahre produzieren nebeneinander und mehr oder weniger durch herstellerunabhängige Software vernetzt. Für Alberto Martínez, Head of Competence Center Software Services, Chief Digital Officer, and Member of Bystronic Management Committee ist die Erkenntnis daraus klar: „Wir mussten uns eingestehen, dass wir die Bedürfnisse unserer Kunden nicht länger im Alleingang befriedigen können. Blechbearbeiter suchen immer weniger einzelne Produkte, sondern vernetzte Lösungen. Und diese können wir nur in Zusammenarbeit mit externen Partnern bieten.“ Entsprechend öffnet sich Bystronic wie viele andere Anbieter stärker als bisher für die Zusammenarbeit mit anderen Anbietern und wird in Zukunft Systeme von Fremdherstellern einbinden. Erleichtert wird diese Einbindung durch die Schnittstelle umati (universal machine technology interface) für den Datenaustausch zwischen Werkzeugmaschinen.

Neben der Vernetzung ist der autonome Betrieb von Anlagen ein erklärtes Ziel der Anbieter. Assistenzsysteme vor allem im High-End-Bereich der Lasertechnik erlauben einen selbstregelnden Betrieb beispielsweise in den Laserschneidmaschinen der TruLaser Serie 5000. Das Assistenzsystem Active Speed Control schließt hier aus dem Prozessleuchten im Schneidspalt auf die Schnittqualität und passt entsprechend die Vorschubgeschwindigkeit automatisch an. Ebenfalls als weitgehend selbstregulierend beschreibt Amada seine neue Faserlaserschneidanlage Regius-3015AJ, die sich vor allem durch ihre Positioniergeschwindigkeit von bis 340 m/min auszeichnet.

Übergreifend bei allen Herstellern ist der Trend zu hohen Laserleistungen bis 15 kW zu erkennen, mit denen die Lasermaschinen Blechdicken bis 50 mm schneiden können, ein Blechdickenbereich der bisher den Plasmamaschinen vorbehalten war. Mit Assistenzsysteme einerseits und den hohen Laserleistungen wollen sich die Premiumhersteller zudem von dem im Markt mittlerweile vielfältig und günstig verfügbaren Angebot an Basismaschinen mit Standard-Faserlaserquellen abheben.

Der Trend zu autonomen Systemen setzt sich im Biegebereich fort. Hier sind zwar autonome Stanz-Biegelinien und Biegezentren unter anderem von Salvagnini seit Jahren bekannt, zunehmend werden aber Biegezellen mit Abkantpressen als (teil-) autonome Systeme angeboten. Eines dieser selbstregelnden System ist die Ulti-Form-Biegezelle von LVD, die eine 135-t-Abkantpresse mit einem Industrieroboter koppelt. Der Roboter übernimmt darin sowohl den Werkzeugwechsel als auch das Teilehandling. Programmiert werden Presse und Roboter in einem einzigen Steuerungssystem.

Verknüpft mit der Digitalisierung ist das Erfassen und Speichern vielfältiger Daten zu Maschine und Prozess. Genutzt werden diese Daten vorerst meist dazu, den Anwender zu jeder Zeit an jedem Ort über den aktuellen Zustand der Maschinen zu informieren und Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen einzuleiten. KI-gestützte Tools zur systematischen Auswertung der Daten im Hinblick auf eine Optimierung der Prozesse werden allenfalls beim Maschinenhersteller mit Einverständnis des Anwenders, nicht aber direkt beim Anwender eingesetzt. Anwendungen wie in der Automobilindustrie, wo KI-gestütze Systeme direkt Produktionsdaten auswerten und zur Optimierung der Produktionsplanung nutzen, sind im Blechbereich nicht bekannt.

So betreffen KI-Anwendungen vor Ort meist die Prozessperipherie. Am bekanntesten dürfte das selbstlernende Systeme zum automatischen Ausstoßen von Laserteilen aus dem Restgitter mit Hilfe von Aufwerferstiften im Laservollautomat TruLaser Center 7030 sein. Interessant ist auch der vom Fraunhofer IPA zusammen mit Trumpf entwickelte Sorting Guide, in dem eine künstliche Intelligenz automatisch die Bauteile erkennt, die ein Bediener aus dem Restgitter entnimmt. Das System zeigt dann die zugehörigen Auftragsdaten und den Ablageort an und übermittelt die Entnahme direkt an den Leitrechner. Ebenfalls zur Teileerkennung und zur entsprechenden Handhabung durch einen Roboter nutzt Arku sein KI-gestützes Vision-Roboter-System, um Teile einer Bearbeitungsmaschine zuzuführen und nach der Entnahme abzustapeln. Das System kann vom Anwender ohne jede spezifische Teileprogrammierung eingesetzt werden.

Große Fortschritte hat die Digitalisierung in den letzten Jahren vor allem in der Produktionsplanung- und –steuerung gemacht. Hier sind neue digitale Dienstleister entstanden, die mit ausgefeilten Softwaresysteme administrativen Vorgänge von der Angebotserstellung bis zur Beauftragung des Logistikdienstleisters und der Rechnungserstellung automatisch abarbeiten. Die reale Fertigung wird von diesen Systemen dann – ebenfalls automatisch – an externe Blechfertiger vergeben. Mit der Leistungsfähigkeit der Softwaresysteme dieser Online-Fertigungsplattformen ohne Maschinen können die wenigsten Webshops herkömmlicher Blechbearbeiter mithalten. 

Und das umso mehr, weil die Plattformen den Auftrag an den Fertiger algorithmengesteuert an den Fertiger vergeben, der am besten dafür ausgestattet ist. Diese Online-Fertigungsplattformen bieten bestechende Vorteile für die Einkäufer, und haben durchaus das Potential, die Blechbranche insgesamt zu verändern.Bis dahin allerdings können Blechfertiger auch ihre herkömmliche Fertigung ohne digitale Vernetzung optimieren. Beispielsweise durch Systeme zur Materialbereitstellung etwa oder durch ein Ortungssystem für Material in Werkhallen – das bei einer vernetzten automatisierten Fertigung gar nicht notwendig wäre.

Geld verdienen erst wieder ab 2023?

  von Wolfgang Filì, facts-and-figures Maschinenbauer haben's schwer. Geht's aufwärts mit der Konjunktur, profitieren sie als letzte...